Stuttgart. Stammheim. Hochsicherheitstrakt. Überfliegen verboten. Fotografieren untersagt. Trotzdem löst sich das einem Panzerschrank gleichende Gebäude auf in seine Einzelteile, fügt sich wieder zusammen und lässt seine Strukturen erkennen. Die moderne Computer-Animation erlaubt es Gerdine Frenck, das unerlaubte zu tun.
Das Video läuft zurzeit in der Ladengalerie des Vereins Junge Kunst. Es ist nur ein Baustein der Collage über Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Daneben verkündet „Bild“ immer noch: Polizei erschoss falsche Ulrike Meinhof. Dazu gehören zwei zarte Porträtzeichnungen von Ulrike Meinhof und Andreas Baader. Die junge Absolventin der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig hat sie nicht vollendet, um die noch unfertigen jungen Charaktere der späteren Begründer der Roten Armee-Fraktion (RAF) zu zeigen: der begabte, brave Junge und das nette, kluge Mädchen. Dann eine Großfotografie, schwarz-weiß, vom Berliner Kaufhaus Schneider, dem ersten Attentatsziel der RAF.
Gerdine Frenck geht es um Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, um Identitäten. Aus der Fülle des Materials hat sie diese exemplarisch ausgewählt, um in verschiedenen Techniken, von der traditionellen Zeichnung über die Fotografie und Collage bis zur modernen PC-Ani- mation zwei wichtige „Personen des öffentlichen Lebens“ zu charakterisieren. Zudem hinterfragt sie die den Umgang mit der Identität, wenn schon die bloße äußerliche Ähnlichkeit nervöse Polizisten auf eine Unschuldige schießen ließ. Und sie stellt die mysteriösen Umstände des Todes in Frage. Sie erinnert damit an den Landwehrkanal, in dem Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht starben, als die erste deutsche Republik nervös auf die Bedrohung durch Radikale reagierte.
Neu und unprätentiös nimmt sie sich so der in den Medien publizierten Identitäten an, setzt sie in Bilder um und zeigt die Übergänge von Realität, Fiktion und Metaebene. Da kommen ihr Personen zu Pass, mit deren Namen breite Schichten der Bevölkerung etwas verbinden. Ma- rylin Monroe und John F. Kennedy gehören dazu.
Die Marylin der Gerdine Frenck ist ein Film. Sie lässt, geschickt zwischen Schwarz-Weiß-Bildern und Farbsequenzen wechseln, mit Zeitraffer und Zeitlupe arbeitend, zu überdimensionalen Nahaufnahmen übergehend, knappe Erläuterungen hinzufügend die Story des Filmstars, deren private und öffentliche Identität Revue passieren. Die scheue, aber ehrgeizige, den Beifall genießende, der Show überdrüssige Marilyn tritt dabei ebenso hervor wie die inszenierte Monroe: sexy, langbeinig, vollbusig, chic, blond und begehrenswert, aber nicht allzu clever, ein Mädchen für Soldatenspinde.
Der junge, katholische Präsident der Vereinigten Staaten steht in Gerdine Frencks „decades“ unverbrüchlich für Aufbruch, für mehr Freiheit und Demokratie im Alltag statt in Artikeln. Ganz privat zeigt sie den Amerikaner mit seinen für das düstere Halloween-Fest maskierten Kindern im Weißen Haus. Es sollte eine ihrer letzten Tage mit einem unbeschwerten Vater sein. Jäh beendeten die Schüsse von Dallas den Versuch, mehr Demokratie zu wagen.
Gerdine Frenck ist laut Dr. Hans- Joachim Throl, Vorsitzender des Vereins Junge Kunst, die erste regionale Künstlerin, welche seit Begründung des Vereins vor vier Jahren präsentiert wird. Sie schließt gerade ihr Meisterschüler-Studium an der HBK Braunschweig bei Professor John Armleder ab, machte ihr Vordiplom bei Professor Walter Dahn (Mülheimer Freiheit) und erhielt ein Stipendium für San Francisco/USA. (Quelle: Wolfsburger Nachrichten vom 25.1.2002)