Fast alle Menschen kennen das Gefühl der Angst in irgendeiner Form. Neben Freude, Trauer, Wut, Schuld und Scham ist Angst eines der Grundgefühle, die bei jedem Menschen lebensbegleitend sind. Kognitive Angst- theorien sehen Angst als Folge von Kontrollverlusten durch Fremdheit, Ungewissheit, Verlust von Geborgenheit, Verlassenheit, Vorwegnahme von Bedrohung, Zukunftsunsicherheit, Hoffnungslosigkeit usw. Das Thema der Angst ist zu einem der wichtigsten Themen der Emotionspsychologie geworden und alle wichtigen Psychothera- pierichtungen streben die Beseitigung krankhafter Angst an US-Amerikaner verwenden zuweilen das deutsche Wort „Angst“, wenn sie eine Panikattacke zu beschreiben versuchen. Deutsche werden aus amerikanischer Sicht oft als besonders ängstlich und zugleich rasend paragraphenverbissen, ja geradezu sicherheitsfetischistisch eingestuft. Dabei sind die allgemeinen Sicherheitsstandards in Deutschland im europäischen Vergleich nicht höher als in anderen Ländern.
Und sollte man auch versuchen, das gesellschaftliche Zusammenleben in einer von ständigen Katastrophen heimgesuchten Welt mit immer komplizierter verlegten Sicherheitsleinen zu bandagieren, den menschlichen Urängsten wäre doch nicht beizukommen. All das, was mit Versicherungen gegen die Winkelzüge des Lebens, des Schicksals und des eigenen Unvermögens zu tun hat, sind Dauerbrenner. Angst-Lust und die Lust am Gesetz überlagern sich zuweilen. Psycho-Kurse, Sekten und private Wachfirmen haben Hochkonjunktur. Weil die Polizei aus Mangel an Geld und Personal die Sicherheit der Bürger in Deutschland nicht mehr garantieren kann, wachsen private Sicherheitsfirmen wie Pilze aus dem Boden. In der Branche arbeiten, laut Angabe des Nachrichten- magazins DER SPIEGEL, bereits ca. 250.000 Menschen – genauso viele wie bei der Polizei.
Aber was ist zu tun? Zäune ziehen, Überwachungskameras installieren, Täter isolieren, Fremde ausgrenzen oder die Krisenphänomene in Ökonomie, Umwelt, militärischen Machtkonstellationen usw. bereden? Die Notwendig- keit der Ausschöpfung der einschlägigen staatlichen Mittel gegen die Angst vor einer „Bedrohung“ wird mit dem Anwachsen des Rechtsradikalismus und seiner internationalen Vernetzung via Internet begründet. Aber ent- steht das Syndrom, das jederzeit mobilisierbar scheint, nicht eher aus tiefer liegenden Unglaubwürdigkeiten von demokratischer Lebensform überhaupt? Die persönliche Unglaubwürdigkeit der Politiker spiegelt für die Beobachter der Politik, was an der Demokratie unglaubwürdig ist.
Wie soll man sich in der Demokratie vor Unglaubwürdigkeit und professionalisierter Geschwätzigkeit der Politiker schützen? Angst sei ein schlechter Ratgeber, heißt es. Insofern kann es ebensowenig um unprofessionelle Kumpanei mit dem Volksmund wie um die Ummantelung von “Betroffenheit” durch Lichterketten am falschen Ort gehen. Kann die Kunst aus dem alten System-Mix der Ängste, Zwangslagen und Zukunftsversprechen her- aushelfen? Natürlich nicht. Aber Denkbilder und Hinterkopfgeschichten, sind, wenn sie von der Form gestützt werden, allemal gut, um Impulse zu geben, egal ob sich damit Selbstsicherheit auf- oder abbaut. Mit den Werken der Ausstellungen „Sicherheitskonzept“ bei Kuckei + Kuckei, Berlin und Junge Kunst e.V., Wolfsburg (bestehend aus „Sicher ist sicher, trendy version“ bzw. „Sicher ist sicher, normal version“ sowie „Counter“) verknüpft Matten Vogel Irritationen des gesellschaftlichen Unterbewußtseins mit dem aktuellen Malerei-Diskurs.
Die Versuchanordnung des „Sicherheitskonzepts“ besteht aus einer Wand, zwei Bildern sowie zwei Alarmsirenen und zwei Videoüberwachungskameras. Je nach Ausstellungraum wird die künstliche Präsentationswand fast wie eine Skulptur so eingebaut, dass ein räumliches Spiegelverhältnis entsteht. Auf jeder Wandseite hängt ein Bild (Motiv: Buchsbaumhecke), mit auffälligen Bildsicherungen aus Metall seitlich fixiert, neben der rechten oberen Ecke flankiert von einer handelsüblichen roten Rundumleuchte. Eine auffällige Bildunterschrift trägt den (ent- tarnenden) Titel „Hecke“. Die Schutzfunktion der Hecke wird von der Wand übernommen, die die Durchsicht verweigert. Beide Motive der „Hecken“ gehen auf eine fotografische Vorlage zurück, die in Berlin-Neukölln ent- stand, dem deutschen Stadtbezirk mit der höchsten Anzahl an Sozialhilfeempfängern, wo der Künstler auffällig blickdichte Heckenanlagen fand. Die Fotovorlagen wurden anschließend am Computer bearbeitet. Formrundungen und Farbveränderungen entstehen. Hinsichtlich ihres kompositorischen Aufbaus verhalten sich die beiden Bild- tafeln spiegelbildlich zueinander. In der Farbgebung der Bilder richtet sich Vogel nach dem Zeitgeschmack , eine trendy version ist in den Military-Farben der Modesaison 99/00 gestaltet: in Hellgrau/Matschgrün/Schwarz.
In einer normal version arbeitet er ganz nach dem 1984 von der Bundeswehr eingeführten Fleckentarnanstrich in den Farbtönen Bronzegrün RAL 6031, Lederbraun RAL 8027 und Teerschwarz RAL 9021. (1) Tarnung heisst, sich der jeweiligen Umgebung anzupassen – ein listiges Täuschungsmanöver, aus der Tierwelt kopiert, das weitest- gehende Sicherheit verheisst. Tarnfarbene Kleidung steht bei Knaben gegenwärtig ganz oben auf der Wunschliste. Seit „Tank Girl“, „Lara Croft“ und dem neuen Image der verführerischen, vaterlandsergebenen Frau mit Waffe ist Tarnstoff auch aus der Haute Couture nicht mehr wegzudenken.
Daß das „Hecken“-Doppel klassische Tafelbildqualität hat und keineswegs eine angestrichene Fläche ist, zeigt sich insbesondere an der formalen Pond
st, die den Besitzerstolz überlagert, weil selbst die Anschaffung teurer Überwachungsgeräte nicht garantiert, daß sie im entscheidenden Moment funktionieren.
Eine andere Arbeit („o. T.“) zeigt das Porträt eines Mannes (es ist der Künstler selbst) wie aufgenommen mittels einer Kamera, die einen Bankraub registriert. Daneben befindet sich ein Exemplar genau solch eines Kameratyps. Die Kamera blinkt, täuscht vor aufzuzeichnen, aber registriert in Wahrheit nichts. Wieder geht es um ein System, das Sicherheit in Aussicht stellt, aber weder in der Lage ist relevante Informationen zu liefern (es sei denn als Kunstwerk), noch sich selbst in Schach zu halten. Unentwirrbare Sinnverknüpfungen zwischen der Alltagswirk- lichkeit, der Wirklichkeit der Kunst und der Wirklichkeit des Fakes machen es unmöglich, sich zurechtzufinden. Auch der geübte Medienspezialist bleibt auf der Strecke.
Doch wenn der Besucher glaubt, Vogels künstlerische Strategien endlich durchschaut zu haben, sitzt er bereits in der Falle. Vogel ist ein hakenschlagender Unterminierer möglicher eindimensionaler Interpretationen der Rezipienten. Erst so können von der Normalität abweichende Bedeutungskonstruktionen relevant werden.
Ein Beispiel dieser Taktik bietet die Installation „Counter“, bestehend aus einer klassischen Empfangs-Theke, wie man sie in jeder Firmen-Lobby findet, ausgerüstet mit Monitor und Überwachungskamera. Diesmal funktio- niert das Equipment, aber der Monitor bildet eine andere Raumsituation als die tatsächliche ab, was der Besucher allerdings erst bei genauester Kontrolle seiner Umgebung bemerkt. Die unter dem Counter plazierte Kamera filmt zwar live, ist aber nicht auf Raumbeobachtung eingestellt, sondern registriert lediglich ein einziges, fest- stehendes Raumfoto, das Vogel ihr im Abstand von ein paar Zentimetern vor die Linse geklebt hat. Vogel votiert damit für einen emanzipierten Mediengebrauch mündiger Empfänger, die fähig sein sollten, die gesendete Infor- mation von der übermittelten Botschaft zu trennen und sich einer kritischen Interpretationsweise zu befleißigen, getreu der Behauptung von Marshall McLuhan („The medium is the message“), dass das Medium als Teil der Kommunikationssituation wesentlich ist.
Matten Vogel
geboren/born 1965 in Hannover.
1994 Meisterschüler bei/master class of Wolfgang Petrick, HdK Berlin. Lebt/lives in Berlin