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Wenn Isabell Schulte (*1987) zeichnet, dann tut sie dies nicht mit einem gewissen Mindestabstand zum weißen Papier, den der ausgestreckte Zeichenarm definiert, sondern mitten im Kunstwerk. Sie sitzt in einem mehrere Meter großen Papierbogen. Diese Arbeitsweise wirkt sich natürlich auf den Bildfindungsprozess
aus. Statt alles im Blick zu haben, um einen vermeintlich im Geiste zugrundeliegenden Gesamtplan bei der zeichnerischen Übertragung besser kontrollieren, gegebenenfalls korrigieren zu können, bildet Schulte lieber eine Symbiose mit dem entstehenden Bild. Dabei erobert sie die Zeichenfläche mit ihrem Körper, in dem sie sich kniend darüber bewegt und mit dem Bleistift Striche, Formen und Schraffuren setzt, ohne jedoch das bildnerische Endresultat bereits zu kennen. Dieser intensive und lang dauernde Arbeitsprozess – pro Zeichnung benötigt Schulte mehrere Monate – steht im bewussten Kontrast zum Accelerationsprozess, der dank des technologischen und digitalen Fortschritts allgegenwärtig ist und alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst. Der Künstlerin geht es um den zeitlichen Prozess des Zeichnens, der einer Laborsituation vergleichbar ergebnisoffen ist. Auslösender Impuls ist nicht die künstlerische Verarbeitung visueller Eindrücke, wie man meinen könnte, sondern die Überführung von Geräuschen – also akustischen Informationen – in einen flexiblen Zeichencode. Die daraus entwickelten Einzelformen, man könnte in diesem Zusammenhang vielleicht auch von einer Sonderform einer modernen Hieroglyphe sprechen, bilden durch ihre wiederholte Anwendung komplexe Ordnungssysteme aus. Sie entfalten sich kontinuierlich auf der Papieroberfläche, um irgendwann in sich zusammenbrechen und im Anschluss, anscheinend unabhängig von der Künstlerin, sich vollautomatisiert nach einem unbekannten Programm neu zu organisieren. Hierzu werden mittels Transparentpapier Bildausschnitte kopiert und an anderer Stelle wieder eingebaut. Auch können die einmal entwickelten Einzelformen auf die anderen Zeichnungen überspringen, wo sie den Impuls für die Ausbildung eines neuen Zeichensystems setzen. Die Zeichnungen kommunizieren somit untereinander, vergleichbar mit einer ausdifferenzierten Sprachfamilie, die eine gemeinsame semiotische Wurzel besitzen. Die fertigen Bildresultate mögen dabei an Partituren, Baupläne oder Schaltkreise erinnern, was aber eigentlich stattfindet ist eine Kartografierung des Urgrundes der unbegrenzten Möglichkeiten kreativer Denkoperationen.