VIERTEL NACH VOR: GESCHICHTE WIRD GEMACHT
Unter dem Titel „Viertel nach Vor“ zeigt „Junge Kunst e. V.“ die erste Einzelausstellung Daniel Pollers (*1984, lebt in Berlin) in einem deutschen Kunstverein. Dieser paradox anmutende Titel beschreibt treffend die aktuelle Debatte über Sinn und Zweck des Wiederaufbaus historisch-symbolträchtiger Gebäude. Die Ausstellung verschränkt die Medien Fotografie und Video in Verbindung mit einem skulpturalen Objekt zu einer raumgreifenden Installation. Die Umdeutung von Architektur im öffentlichen Raum und die daraus resultierende Verfälschung von Geschichte ist ein zentrales Thema im Werk von Daniel Poller. Seine künstlerischen Untersuchungen be- leuchten die Umcodierung der Vergangenheit. Ausgangspunkt seiner aktuellen Arbeit ist seine langjährige Auseinandersetzung mit dem Geschehen um die Rekonstruktion der Garnisonkirche in Potsdam und der damit verbundenen Transformation der Hauptstadt Brandenburgs.
Ein Silikonabguss der Kirchturmuhr in 1:1 Format nimmt wabernd einen großen Teil des Ausstellungsraumes ein und spiegelt skultptural die Essenz der medialen Arbeiten Pollers wieder. Für seine Videoanimation „Viertel nach vor“ hat der Künstler 41 Fotografien und Simulationen der Kirchturmuhr überblendet. Das dokumentarische und teils computergenerierte Ausgangsmaterial, zwischen 1730 und 2019 erstellt, wird zu einem taumelnden, verzerrten, zwischen schwarz/ weiß und pastoser Farbigkeit morphenden Turm in Endlosschleife. Vergangenheit und visionäre Zukunft der aktuellen Architekturentwürfe werden zu einer grotesken, unendlichen Transformation verschmolzen. Die Videoarbeit wird durch fotografische Werkgruppen erweitert. Diese beschäftigen sich ebenfalls mit dem Handlungsraum Garnisonkirche anhand von Bildern aus dem publizierten Umfeld des Rekonstruktionsvorhabens. Exemplarisch zeigt sich am geplanten Wiederaufbau der Garnisonkirche eine Polarisierung über Sinnhaftigkeit und Politisierung der Rekonstruktion von historisch symbolträchtiger Architektur. Unsere Vorstellung von vergangenen Realitäten durch Bilder durchdringt die Gegenwart und prägt die Zukunft in Architektur und Gesellschaft. Zwangsläufig sind es mediale Bilder, die Daniel Poller zur Darstellung dieser ambivalenten und komplexen Fragestellungen nutzt. Diese lässt er in seiner Arbeit beeindruckend zwischen den Zeiten diffundieren.
Daniel Poller, geboren 1984 in Rodewisch (ehemalige DDR), studierte bei Prof. Peter Piller an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und erhielt 2017 den Meisterschülertitel (Klassen Prof. Peggy Buth und Prof. Joachim Brohm). Er erhielt zahlreiche Stipendien und Preise; unter anderem das Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds Bonn (2020/2018), der Kulturstiftung des Freistaats Sachsen (2016) und den Aenne-Biermann-Preis für Deutsche Gegenwartsfotografie (2015). Seine Arbeiten wurden in einer Vielzahl von Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland präsentiert – zuletzt in einer Einzelausstellung im Goethe Institut Bordeaux. Parallel zur Ausstellung erscheint seine aktuelle Publikation Frankfurter Kopien bei Spector Books Leipzig.